Was Dorfjungen besser wissen

“Das Geheimnis des Glücks ist Zufriedenheit”, ich weiß nicht, wer es gesagt hat. Aber es stimmt. Selbst im Kerker, bei Wasser und Brot, könnte man glücklich sein. Wenn man damit zufrieden ist.

Natürlich, es klingt geradezu dreist. Wie soll man im Kerker zufrieden sein? Doch ich habe Ihnen einmal erzählt, dass ich eine ganze Weile in Indien gelebt habe. Ich wohnte dort bei der Familie eines Freundes, und deshalb fernab der touristischen Trampelpfade. Außerdem war die Familie, bei der ich wohnen durfte, eine sehr spirituelle Familie, und machte mit mir viele Ausflüge zu heiligen Orten.

Einen dieser Orte werde ich nie vergessen. Es war ein Ashram, die indische Entsprechung eines Klosters. Dort waren Mönche, die ließen sich lebendig einmauern, in einem Verlies ohne Fenster. Es gab nur eine Klappe, durch die schob man ihnen einmal täglich Essen und Wasser durch. Ein solcher Mönch bleibt bis zu zwanzig Jahre in diesem dunklen Loch, er kommt während dieser Zeit niemals heraus und niemand redet mit ihm. Wenn der leere Teller ausbleibt, dann brechen die anderen Mönche die Mauern auf und sehen nach ihm. Oder wenn er signalisiert, dass er raus will (er darf es jederzeit), dann geht er wieder zurück unter Menschen. (Ich gebe zu, dass insofern der Vergleich mit einem Kerker im Gefängnis hinkt, aber mir ging es um das Prinzip – um die Umstände einer gegebenen Situation).

Dort durften wir an einer Meditation des Gurus dieses Ashrams teilnehmen (“Guru” = Lehrer, aber in einem Ashram ist er auch der Leiter). Auch er hatte eine sehr lange Zeit in einem solchen Verlies verbracht, bevor er der Guru des Ashrams wurde. Er saß ein wenig erhöht auf seinem Asana (Meditationsteppich), wir Besucher drum herum, alle in völligem Schweigen. Der Guru sah regungslos in den Himmel, die Fliegen liefen über seine offenen Augen. Doch er war so sehr in der Betrachtung Gottes versunken, dass noch nicht einmal seine Lider zuckten.

War er glücklich? Ich weiß es nicht, ich konnte nichts aus seinem Gesichtsausdruck lesen, außer, dass er entrückt war. Und ob er zufrieden war? Na, offensichtlich. Ich könnte das nicht, ganze Tage rumhocken und gar nichts wollen. Aber für den Guru war es sein Leben, schon seit Kind an. Und er wollte nichts anderes, also muss er wohl zufrieden damit gewesen sein.

Bitte nehmen Sie nun zum Vergleich einen Transhumanisten. All diese Kurzweils, Hararis, Schwabs. Die sind in einem Zustand maximaler Unzufriedenheit. Die können die Natur, auch die eigene, nicht so akzeptieren, wie sie ist. Nur wenn sie die Natur verändern könnten, nach ihrer Vorstellung, dann fänden sie sie perfekt. Aber so wie sie ist, gefällt sie ihnen nicht, weil: sie damit nicht zurechtkommen.

Der Guru in dem Ashram in Indien hingegen… Die Schönheit Dessen, Was ist, überwältigte ihn so sehr, dass er nichts anderes mehr tun wollte, als sie zu bewundern…

Wussten Sie eigentlich, dass die Vorfahren der Transhumanisten die Alchemisten sind? Dass, mit anderen Worten, die Transhumanisten als die Alchemisten unserer Zeit betrachtet werden müssen?

Beide, Alchemisten wie Transhumanisten, versuchen mittels des Einsatzes technischer Mittel, Zuber mit Quecksilber in lodernden Flammen damals; und CRISPR-Gen-Scheren in Hochsicherheits-Laboren heute; die Welt zu verändern. Sie perfekt zu machen, jedenfalls so, wie man sich in diesen Kreisen “perfekt” vorstellt. Eine Welt ohne Tod, zum Beispiel. Transhumanismus hat ja viele Schattierungen, aber eines eint alle Strömungen dieser modernen Alchemisten: Sie wollen den Tod überwinden. Die einen stellen es sich ganz physisch vor, Nanoroboter, die durch ihre Adern kriechen, und jedes kleinste Anzeichen von Alter oder Krankheit sofort auf submolekularer Ebene eliminieren, und dass sie deshalb nicht mehr sterben, andere glauben, dass sie ihr Bewusstsein eines Tages (vollständig) in die Cloud hochladen können, um dort ewig weiterzuleben. Aber für alle Transhumanisten gilt, sie wollen den Tod überwinden. Und eben dies war auch die zentrale Antriebsfeder der alten Alchemisten, der ganze Goldmachkram diente nur dazu, die Fürsten zu beeindrucken und damit an die benötigten Mittel zu kommen, um ihre äußerst kostspieligen Experimente mit der eigenen Unsterblichkeit zu finanzieren. Weil sie mit diesem Aspekt ihres Seins, ihrer Vergänglichkeit, nicht zufrieden sein konnten.

Nehmen wir an, Sie finden eine Frau, und dann sagen Sie ihr, Liebling, ich will dich heiraten, aber vorher musst du zum Schönheitschirurgen. Was würde die Frau denken? Dass Sie sie lieben? Wirklich sie lieben, so wie sie ist? Der Mann würde die Frau doch gar nicht lieben, sondern nur seine Vorstellung davon, wie sie zu sein hätte. Oder Sie würden einen Mann finden, und ihm sagen, wenn du 1 Million Euro besitzt, dann heirate ich dich. Was würde der Mann denken?

Kann man lieben, wenn man das Geliebte nur teilweise annehmen kann? Könnte der Guru in den Himmel sehen um die Schöpfung anzubeten, und sonst nichts anderes mehr tun, wenn er mit vielen Dingen darin nicht zufrieden wäre? Wenn man mit etwas nicht zufrieden ist, dann will man es doch ändern! Also etwas tun. Doch der Guru tat nichts, er schaute nur.

Aber dass Liebe viel mit Verzeihen zu tun hat, Fehler oder Unzulänglichkeiten zum Beispiel – mithin jemand, der nicht verzeihen kann, auch nicht lieben kann; das ist nur die eine Seite der Medaille (der Alchemisten / Transhumanisten). Die andere ist noch viel schlimmer, nämlich: Perfektion ist etwas Unerreichbares. Ich würde sogar soweit gehen zu sagen, selbst der Herrgott strebt in alle Ewigkeit die Perfektion Seiner Schöpfung an, wird sie aber niemals erreichen – weil es Seine Natur ist, so zu sein. Die Transhumanisten wollen also etwas, das unmöglich ist. Mit anderen Worten, was die sich heute unter Perfektion vorstellen, wird morgen, wenn ein Ziel erreicht wäre, etwas anderes sein. Und ihre Qual der ewigen Suche beginnt aufs Neue.

Transhumanisten sind traurige Gestalten. Getrieben von Hass, auf das, das ihnen nicht gefällt. Sie wollen einen Zustand erreichen, in welchem sie nichts mehr ändern wollen.

Dabei ist ein solcher Zustand sogar für indische Dorfjungen zu erreichen. Aber eben nicht durch technologische Umgestaltung der Natur, sondern durch Liebe und Verzeihen, im Fall des Gurus für die ganze Welt.

Ich ging damals von dem Ashram weg, und sah die Armut in dem Dorf, das in der Nähe lag. Wissen Sie, der Guru war eine lokale Attraktion, viele Pilger kamen dorthin. Und alle ließen ein paar Münzen für den Tempel des Ashrams da, auch ich. Aber die Armut war real, und der Guru saß den ganzen Tag nur da, und tat nichts. Mein Eindruck war gespalten. Sicher, er schien völlig zufrieden, aber hat Gott uns wirklich dafür gemacht?

Na egal, vielleicht hat Er manche von uns dafür gemacht, aber bestimmt nicht alle. Worauf ich hinauswill: Wenn die Transhumanisten einen Zustand endgültiger Zufriedenheit zu erreichen wünschen, dann könnten sie es doch so machen wie der Guru, anstatt dem irrealen Ideal einer niemals erreichbaren Perfektion des Dinglichen hinterherzujagen.

Damit wäre allen gedient. Gates & Co hätten endlich ihre Ruhe – die ihnen ja so unfassbar wichtig zu sein scheint, dass sie entsetzliche und nie dagewesene Schuld auf sich laden, geheime Gen-Experimente mit Millionen und Abermillionen von Schwerverletzten, Behinderten und Toten, zum Beispiel. Dabei könnten sie den erwünschten Zustand im Dschungel doch für Cents am Tag jederzeit haben, wenn er ihnen so gut gefällt. Müssten nur lernen, was der Guru konnte.

Und wir anderen hocken uns nicht in den Dschungel, sondern ziehen endlich unbehelligt von Nimmersatten unsere Kinder groß. Und erforschen die Perfektion nur nebenbei, aber vor allem die Liebe, weil das viel schöner ist und viel mehr Spaß macht.