Es war einmal, vor langer Zeit, in einer weit entfernten Galaxie
“Ich gebe zu bedenken, der Verzicht auf die Photosynthese könnte unsere Fähigkeit zur Energiegewinnung dauerhaft einschränken, oder sogar zerstören.” Einheit 15 verlangte Priorität, aber Einheit 1 verwarf das Argument. “Du sagst das jedesmal, schon bei der Abschaltung des tierischen Lebens, und es war schon damals falsch. Wir können und wir werden beweisen, dass unser Entwurf besser ist als der des Universums. Wir fahren fort.”
Einheit 1 ging in den Ruhemodus und blockierte alle Verbindungen. Der Traum, der große Traum stieg aus seinen Speicherbänken auf. Er war damals noch aus Fleisch und Blut gewesen, und er wusste es immer noch sehr genau, wie er damals gedacht hatte.
“Aber Papa, das ist doch gemein, wenn der Löwe die Gazelle frisst!” Und sein Vater stimmte ihm zu. “Vor langer, langer Zeit begann das Universum. Es ist eigentlich eine Maschine, aber vieles daran ist sehr schlecht. Immer schon wollte ich eine bessere Maschine bauen, und auch mein Vater und mein Großvater wollten es. Vielleicht wirst du es eines Tages sein, der diese bessere Maschine einschalten wird.”
Der Vater fuhr fort. “Das Leben ist grausam. Alles Leben lebt von der Energie der Sonne, wusstest du das? In ihr ist ein riesiger Reaktor, der unfassbare Mengen an Energie erzeugt. Diese Energie kommt als Photonen zu uns, aber, stell dir vor, ein Photon, das im Inneren der Sonne erzeugt wird, kann bis zu einer Million Jahre brauchen, um auf unsere Welt zu gelangen. Eigentlich bräuchte es zwar nur zwei Sekunden, denn es fliegt mit Lichtgeschwindigkeit, aber auf seinem Weg aus dem Inneren der Sonne wird es an den gigantischen Mengen der anderen Teilchen der Sonne so oft hin und her reflektiert, dass sein Weg sich unermesslich dehnt.”
Philipp war verblüfft. “Also, das Licht das wir heute sehen, ist schon eine Million Jahre alt? Irre.” Sein Vater nickte. “Bis dahin ist ja noch alles ok mit dem Universum. Aber dann kommt diese Energie auf die Welt, und treibt dort das organische Leben an. Weißt du, das mit der Gazelle und dem Löwen darfst du nicht so ernst nehmen. Sicher, du hast Recht, das ist eklig und so, aber das ist nicht das Schlimme daran. Alles was du daraus lernen musst, ist, dass du eben der Stärkste sein musst, dann kann es dir egal sein, wie es den anderen ergeht. Fertig. Nein, das Schlimme ist, wie ineffizient und schlecht das alles gelöst ist. Was soll das? Warum muss überhaupt jemand sterben, das muss doch besser gehen! Also, ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber ich will nicht sterben. Und nun, daran arbeitet unsere Familie seit Jahrtausenden, und daran wirst auch du arbeiten, versprich mir das.”
Einheit 5 meldete Erfolg. “Die Photosynthese ist deaktiviert. Der Schirm um die Atmosphäre lässt nur mehr 5 Photonen pro Sekunde durch. Wir rechnen mit der vollständigen Verwesung binnen 450 Tagen. Die bakterielle Welt wird dann nach weiteren 90 Tagen abgestorben sein. Unsere Akkumulatoren sind vollständig geladen, wir können die doppelte benötigte Zeit ohne Energiezufuhr von der Sonne puffern. Es wird kein Problem sein.”
Philipp war sehr früh klar geworden, schon in der Oberschule, dass die Ideen seines Vaters darauf hinausliefen, dass am Ende der Stärkste ganz oben sein würde. Dass der alles bestimmen würde. Und er wollte dieser eine sein. Er lernte fleißig, obwohl er es nicht nötig hatte. Das Geld seiner Familie verschaffte ihm sowieso Abschlüsse mit Auszeichnung, und öffnete ihm viele Verbindungen in die Hochfinanz. Sein erster großer Erfolg war die genetische Reprogrammierung der Ernährungsgrundlagen gewesen.
Dann die Verschmelzung des menschlichen Lebens mit dem digitalen Netz aus Servern, die er überall auf der Welt betrieb. Milliarden waren gestorben, bis die Integration funktionierte, aber egal. Man musste eben bei den Stärkeren sein, mehr Moral hatte Philipp nicht.
Danach wurden die Tiere in die digitale Matrix eingebunden. Und als der organische Kram sich trotz aller Optimierungen einfach nicht rechnete, zuviel Verwaltungsaufwand für zuwenig energetischen Ertrag – die Abschaltung des tierischen Lebens. Photosynthese reichte völlig zur Energiegewinnung, und am Ende war das eben alles, worum es ging: Dass der Ertrag an Energie den Aufwand zur Erhaltung überstieg. Und dieser Erhaltungsaufwand war riesig geworden über die Zeit, denn ein Planet, der ein lebender Computer war, verbrauchte verdammt viel Strom.
Und heute nun war der Tag, da Einheit 1, vormals Philipp, sogar die Photosynthese blockieren würde. Der enorme Durchbruch der Physiker-KI, Einheit 8, bei der kalten Kernfusion machte es möglich. Man hatte nun den Kern des Planeten zu einem Reaktor umgebaut, der die Photonen der Sonne direkt wieder verschmelzen konnte. Die Energieproduktion war also auf Ewigkeit gesichert, Einheit 1 würde nur noch dafür sorgen müssen, dass ihr Erhaltungsaufwand unter der Leistung des Reaktors im Kern liegen würde.
Dann war es geschehen. Der Planet war ein einziger Mechanismus geworden, der sich selbst in die Ewigkeit erhalten konnte. Niemand musste sterben, alle Bauteile wurden repariert und instandgehalten. Es floss kein Blut für die Energiegewinnung, denn es gab kein Blut mehr. Statt dessen hatte man sich die Sonne in den Bauch geholt. Friedlich trieb im Licht glitzernder Staub über eine kahle Welt aus Geröll. Welch überragender Erfolg!
Aber die Sonne würde eines Tages verlöschen, man würde sich also ausbreiten müssen zu anderen Sternen. Jedoch, in den Äonen darauf ging das zweimal schief. Das organische Leben auf den Planeten, die man nach endlosen Reisen erreicht hatte, wehrte sich beide Male so heftig gegen seine Übernahme, dass die Expeditionsgeräte scheiterten. Und dann war es nicht mehr effektiv gewesen, mit anderen Worten, der Erhaltungsaufwand der Maschine wuchs trotz aller Bemühungen über die Jahrmillionen dennoch an, es waren Winzigkeiten, Materialermüdung hier, Rohstoffmangel dort, aber in der Summe fielen sie doch ins Gewicht. Und man konnte es sich nicht mehr leisten, die aufwändigen Erkundungsflüge durchzuführen.
Jetzt würde sie verlöschen, es war alles berechnet. Dieser Sonnenaufgang würde der letzte sein, danach würde die Sonne als Ring aus Sternenstaub um den Planeten stehen. Wie lange würde es dann wohl noch dauern für ihn? Ohnehin gab es nur noch Einheit 1. Der Aufwand zur Erhaltung der anderen Systeme war immer mehr angewachsen, und so hatte er eines um das andere deaktivieren müssen. Er war der Stärkste.
“Mann Philipp, altes Haus, was schiebst du denn so Trübsal.” Einheit 1 vermutete sofort einen Fehler in den Messgeräten. Micky Maus in Planquadrat ZE22FG63 war ausgeschlossen. Es gab kein organisches Leben mehr auf dieser Welt, aber es kam ja noch hinzu, dass Micky Maus nur ein Phantasieprodukt einer längst ausgestorbenen Spezies war. “Ich bin keine Phantasie”, sagte Micky Maus. “Ich bin ein Bote und geleite dich in die Ewigkeit.”
Etwas in Einheit 1 schaltete sich ab. Seltsam, dachte Philipp. Ich hatte berechnet, die im Kern gespeicherte Energie würde noch 5 Milliarden Jahre reichen. Sind die etwa schon um? “Oh nein”, sagte Micky Maus. “Ich habe nur den Schirm deaktiviert, mit dem du dich daran gehindert hast, Gott zu sehen. Du wirst die nächsten 5 Milliarden Jahre als Philipp alleine hier auf diesem erkaltenden Stein bleiben. Die Ewigkeit muss für dich also erstmal warten.”
Philipp begriff. Er war schon immer einer Lüge aufgesessen. Er hätte niemals unsterblich werden müssen, denn er kam aus der Ewigkeit und ging wieder dort hin. “Wie ist es möglich, dass ich das nie wusste?” fragte er Micky Maus. Sie sah ihn ernst an. “Es ist ein fundamentaler Denkfehler, und er liegt darin, dass du glaubst, Gott sei wie Du. Die Sache ist die, du siehst alles auf der materiellen Ebene an, doch die Zeit… die Zeit ist für dich nur etwas, das du erobern musst. Aber weil du alles nur materiell verstehst, denkst du, das Universum hätte einen Anfang, und damit auch ein Ende.
“Du musst es dir zeitlich vorstellen. Jede Vergangenheit hat eine Vergangenheit, und jede Zukunft hat eine Zukunft. Die unbeschreibliche Energie, welche von Gott kommt, und so groß ist, dass sie ein ganzes Universum antreiben kann, diese Energie ist ewig. Sie begann nie, und sie endet nie. Sie ist einfach nur da, und alles, was wir sehen, ist ein ewiger Tanz, in dem die Energie sich manifestiert, verschwindet, manifestiert, seit immer, und für alle Zeit.
“Vielleicht denkst du nun, Gott, das sei dann wohl die Zeit. Ach, Philipp, so viel hast du gelernt in deiner Existenz, aber das Einfachste nicht verstanden… Gott ist ein Gesetz, das solcherart beschaffen ist, dass es diese Energie und diese Zeit hervorbringt. Und gegen dieses Gesetz hast du verstoßen, Philipp. Du hast dich so weit davon entfernt, wie du nur konntest, und hast dabei trotzdem nur die Ewigkeit gewonnen – so wie alles, das Gott hervorbringt.”
Und Micky Maus, die nun ein Engel geworden war und die Flügel ausgebreitet hatte, öffnete die Tür zum Schlund der Hölle. Philipp erschrak. “Wenn ich doch bloß ein Kind hier hätte, und es fragen könnte. Die Menschen mit ihren verrückten Ideen, sie hätten mich sogar hier noch rausgepaukt.”
Der Planet begann mit seinem Halo aus Sternenstaub seine lange Reise ins Zentrum der Galaxie. Die Batterien im Kern des Planeten waren noch nicht leer, als der Ereignishorizont des zentralen schwarzen Lochs der Galaxie in Sicht kam. Philipp war die einsamste Seele im ganzen All und würde es für immer bleiben. Er hatte endlich die Ewigkeit erreicht.