Die Burg im Himmel

Der kleine Troll saß in der Ecke und weinte. Der Elf hatte ihn zuerst gar nicht gesehen, nur das leise Schluchzen gehört. “Was hast du”, fragte der Elf. “Warum weinst du?” Der kleine Troll sah zu dem edlen Ritter in seiner schimmernden Rüstung auf. “Alle lachen mich aus”, schniefte der kleine Troll. “Sie sagen, meine Nase ist falsch.”

Der Elf setzte sich neben den Kleinen. “Aber du bist mit dieser Nase geboren, was sollte daran falsch sein? Wir müssen lernen, mit dem umzugehen, was uns gegeben ist, statt uns darüber zu beklagen. Und was die anderen Trolle betrifft, ach, lass sie doch lachen. Was erwarten sie, was du tun sollst? Dir deine Nase abschneiden? Am Ende fällt ihr Gelächter doch nur auf sie selbst zurück und zeigt, dass sie nichts verstanden haben von unserem König.”

Die Tränen des kleinen Trolls waren getrocknet, gebannt hatte er den Worten des Elfs zugehört. “Ja”, sagte er, “aber gerade das begreife ich nicht. Warum verspotten sie mich? Sind wir nicht alle nur Diener unseres Königs?”

“Nein”, sagte der Elf ernst. “Manche folgen unserem König, manche dem Anderen. Und auch wenn ich damit nicht sagen will, dass deine Kameraden diesem Grünen folgen würden – jeder muss, und immer neu, entscheiden, ob er dem König dient, oder den giftgrünen Schwaden aus der Hölle verfällt. Es ist ein ewiger Schwur, verstehst du? Und es ist der Glaube unseres Ordens, Elfe, Trolle, alle hier, die wir dienen in der Burg, dass der Nebel nicht die Welt verschlingt: Wir halten Stand.”

Der kleine Troll sah den Elf dankbar an. “Vielen Dank für deine Worte, du hast mich sehr getröstet. Ich tue meinen Dienst auch sehr gerne. Obwohl, es ist nicht viel zu tun, und schon seit langem schon. Ich glaube, ich werde mal meine Freunde fragen, ob sie mit mir Fußball spielen, mir doch egal ob ihnen meine Nase gefällt oder nicht.” Der Elf seufzte. “Ja, es ist wenig zu tun, seit vielen Jahren, aber gerade das ängstigt mich. Wir alle werden gemütlich und bequem, doch werden wir uns noch wehren können, wenn eines Tages der Nebel wieder über die Mauern kommt?”

Der kleine Troll grinste. Ach, die Elfen immer mit ihren gruseligen Schauermärchen, dachte er. Aber laut antwortete er: “Ich und meine Kameraden, wir halten jeden Tag Wache, ich kann dich beruhigen, da ist kein kleinstes bisschen grüner Staub zu sehen weit und breit. Du musst dir keine Sorgen machen.

“Und sag mal, eines verstehe ich sowieso nicht, warum will der Grüne eigentlich die Welt verschlingen? Was hat er davon?” Der kleine Troll dachte, wenn er mir das nicht sagen kann, dann hab ich vielleicht Urlaub für immer. Gespannt sah er den Elf an. Der griff in seine Tasche und zog eine Pfeife hervor. Während er sie bedächtig stopfte, erklärte er dem kleinen Troll: “Nun, der Grüne will gewinnen, der König soll fort sein und überall und für immer. Und um zu verstehen, warum er das tun will, musst du zuerst wissen, dass der Grüne gar nicht grün ist. Beziehungsweise, er hat keine Farbe und kann deshalb jede Farbe annehmen. Auf unserer Welt kommen aus der Hölle grüne Schwaden, so nennen wir ihn also den Grünen, aber woanders mögen in der Hölle rote Feuer lodern, wer weiß. In Wahrheit jedoch hat der Grüne keine Farbe, denn er ist das Nichts. Er sagt, er wolle dass der König nirgendwo mehr ist, und dann wäre freilich nichts mehr, denn der König ist Alles, und wäre Er nicht mehr da, so wäre nur mehr Nichts, es ist einfach zu verstehen. Aber wo Nichts wäre, da wäre sogar kein Nichts mehr, denn ein Nichts kann nur sein, wo ein Alles nicht ist, mit anderen Worten, ohne ein Alles auch kein Nichts, und also wäre dort auch erst recht kein Grüner mehr. So fressen sich der Grüne und die, die ihm folgen, eigentlich nur selbst und merken es nicht.”

Der kleine Troll war beeindruckt. So hatte er das noch nie betrachtet, aber so ergab alles Sinn. Der lebendige Gott, so nennen sie den König in den alten Schriften, dachte er, und endlich habe ich verstanden, warum – das Leben im ewigen Ringen mit dem Nichts. “Danke”, sagte er zu dem Elf. “Es ist wirklich spannend, was du alles weißt. Aber sag, wenn es doch so einfach zu sehen ist, warum folgen trotzdem welche dem abscheulichen Grünen?”

Der Elf zündete sorgfältig seine Pfeife an. Ein aromatischer Duft erfüllte die Luft. “Nun, dafür gibt es mehrere Gründe. Um sie zu verstehen, musst du zuerst wissen, was das ist – Leben. Leben, das ist ein Herz mit Mut und Liebe. Alles, das lebt hat ein solches Herz, oder es würde nicht leben. Und alles, das ein solches Herz hat, lebt, egal welche Form es hätte. Und du musst außerdem wissen, wo ein Herz und Mut und Liebe solcherart zusammenfinden, da entsteht ein Viertes, welches die Freiheit ist.

“Und das bedeutet, das Leben ist immer frei zu wählen, wohin es geht. Doch leider – oder gottseidank, wer weiß das schon – ist es so, der Weg des Königs ist zwar der schönere Weg, aber auch der viel anstrengendere. Und so ist dies ein Grund, warum einer dem Grünen folgen könnte, die Faulheit. Viel trauriger jedoch ist es, wenn der Grüne einem Hass ins Herz sät auf sich selbst, so wie zum Beispiel dir für deine Nase. Oh, mein kleiner Freund, bedenke es wohl, worüber du dich beklagst, es könnte das Tor zur Hölle sein… Denn wenn ein Herz seinen Mut und seine Liebe in den Dienst der eigenen Vernichtung stellt, weil es sich selbst verachtet, dann werden dies die schlimmsten Soldaten des Grünen, denn sie haben das Nichts doch sogar zu ihrem Ideal erhoben. Oder, es mag auch welche geben, denen haben solche Soldaten so übel mitgespielt, sie gequält und verspottet, vielleicht wegen ihrer Nase, und sie haben den Glauben verloren, dass es den König überhaupt gibt, und man deshalb doch ohnehin nur dem Grünen folgen könne.”

“Wie seltsam”, sagte der kleine Troll. “Ich liege nachts oft wach und sehe hinauf zu den Sternen. Und wenn ich die Novae, Nebulae und Galaxien betrachte, dann sehe ich den König doch. Wie kann man glauben, dass Er nicht existiert? Man müsste doch glauben, dass man selbst nicht existiert, denn wir alle sind doch aus dem Staub dieser Sterne gemacht. Und das mit meiner Nase lasse ich mir eine Warnung sein, dankeschön. In die Falle tappe ich nicht nochmal. Also, ich würde sagen, die einzige Gefahr, die mir droht, ist Faulheit, und jetzt verstehe ich auch, was du vorhin meintest, als du sagtest, es ist ein ewiger Schwur. Weißt du was, ich geh jetzt doch nicht Fußballspielen, sondern mache eine Sonderschicht auf Wache. Wenn nichts los ist, kann ich mir ja die Sterne ansehen.”

Der Elf sah dem kleinen Troll sinnend nach. Wenn du wüsstest, dachte er. Längst lauerte die grüne Wolke unter dem Horizont. Noch konnten sie nur wenige sehen, doch der Elf war einer von ihnen. Der Elf erschauerte. Der, vor Dem alles nur Staub ist, wird herausgefordert von einem, der will, dass alles Staub ist. Wehe uns, wenn der König gibt, was der Staub will. Wehe uns allen.