Immer wenn er die Augen schloss, sah der kleine Bär alles wieder. Das Zucken des Blaulichts. Den Schweiß auf der Stirn des Sanitäters. Das Kopfschütteln des Arztes. Die Tränen des Sportlehrers.
Sie sagen, es war die Maske. Oder die Impfung. Was ändert es, dachte der kleine Bär. Peter ist tot. Beste Freunde für immer, aber immer war so kurz gewesen.
Wieder fing der kleine Bär zu weinen an. Peter hatte noch gelacht, und sich gefreut, weil er ein Tor geschossen hatte. Der kleine Bär verstand es einfach nicht. Wie kann es sein, dass er dann umfällt? Und nicht mehr aufsteht.
Er ertrug es nicht länger. Ich fahre in den Wald, dachte der kleine Bär. Vielleicht frisst mich der Wolf, dann ist Peter nicht mehr allein. Er packte sich eine Brotzeit ein und stieg auf sein Fahrrad.
Die Vögel sangen wie immer, und der Wind wisperte in den Zweigen. Der kleine Bär sah in den Himmel. Da ist kein Gott, grübelte er. Wenn da einer wäre, dann hätte er Peter gerettet.
Mit einem Mal war ihm, als würde ihn jemand ansehen. Ja, da in der Tanne, ein großes Paar gelber Augen. Eine Eule saß ruhig auf einem Ast und beobachtete ihn. “Hey du”, sagte der kleine Bär.
Die Eule breitete die Flügel aus. “Warum so traurig? Ich kenne dich, hab dich schon oft hier gesehen. Aber so verzweifelt wie heute warst du noch nie.”
Der kleine Bär schluckte schwer. “Mein Freund Peter ist gestorben. Die Ärzte sagen, er wäre herzkrank gewesen, es hätte keiner gemerkt. Aber sie lügen! Er war immer der Beste im Sport, wie kann er auf einmal ein schwaches Herz haben?”
“Es gibt solche Dinge”, meinte die Eule. “Doch es sind so viele in letzter Zeit… ich begreife die Erwachsenen nicht. Wie können sie euch zwingen, mit Maske zu rennen? Das ist doch völlig verrückt. Oder vielleicht sogar… war er denn geimpft, dein Freund?”
“Warum lässt Gott all das zu?” Der kleine Bär barg das Gesicht in den Händen und schluchzte bitterlich. “Ja, Peter war geimpft. Und Maske tragen im Sport musste er auch. Die Lehrer haben Angst, dass wir sie anstecken, wir müssen sie schützen, sagen sie. Wenn es Gott gibt – dann muss er der Teufel sein, dass ihn das alles nicht interessiert!”
“Nun”, sagte die Eule. “Ich glaube nicht, dass du weißt, wer Gott ist. Und was der Teufel. Schau, Wasser ist nass. Das ist seine Natur. Es folgt einfach nur Dem Gesetz, verstehst du? Wenn du aber ins Wasser springst, und nass wirst, ist dann das Wasser schuld? Wenn du nicht nass werden willst, darfst du eben nicht hineinspringen. Und damit hat das Wasser nichts zu tun.
“Alles Leben trägt in seiner Seele ein Licht, und es weist ihm den Weg. Und dieses Ziel, das ist es, was die Bären Gott nennen. Aber das ist nicht Gott. Das ist nur das, was ihr Bären sein wollt. Weil eure Seele es euch befiehlt. Ich weiß, viele sagen, dieses Ziel könnte doch genausogut der Teufel sein, wer wollte schon wissen, was der Sinn der Schöpfung ist? Aber das ist ganz einfach. Jedes Leben strebt nach Glück, und danach, Qual zu vermeiden. Das ist das Gesetz des Lebens, und ohne dieses Gesetz kein Leben.
„Wir Tiere wissen es, aber ihr Bären… wie sehr habt ihr euch verirrt. Gott, das nennt ihr euer Glück. Und den Teufel euer Leid. Doch Gott, das ist Die Pflicht, die euch zum Glück hinzieht… nicht das Glück, sondern euer Sehnen danach.
“Und den Teufel, den gibt es gar nicht. Der ist nur das, wo Gott nicht ist, wo Sein Gesetz nicht geachtet ist.”
Der kleine Bär war sehr nachdenklich geworden. “Peter wollte die Impfung. Dann kann er wieder ins Kino, hat er gemeint. Aber warum haben es seine Eltern erlaubt? Er war doch noch viel zu klein, es stimmt nicht, dass er schuld war. Nicht er ist ins Wasser gegangen, seine Eltern haben ihn geschubst!”
Die Eule nickte. “Ganz bestimmt. Ich glaube sogar, er wollte die Impfung nur, weil seine Eltern es ihm gesagt haben. Es muss schlimm sein für sie. Sie haben den Lügen geglaubt, und nun ist ihr Kind tot.
“Gott, das ist Das Gesetz Der Natur. Nicht die Natur, sondern Das, Was sie hervorbringt. Und so ist Alles mit Allem verbunden. Es muss so sein, denn ein Jedes entspringt dieser Einen Quelle Des Seins. Was du also einem anderen tust, das tust du immer dir selbst.
“Manchmal sieht man das sehr leicht, Peters Eltern haben sich ja in gewisser Weise auch selbst getötet… aber die Ärzte, die Pharma-Fabrikanten… es kann tausend Jahre dauern, bis das Leid sie erreicht, doch für Gott ist das weniger als ein Herzschlag. Nichts geht je verloren… erster Hauptsatz der Thermodynamik von der Energieerhaltung, habt ihr das schon gehabt in Physik? Die Ewige Gerechtigkeit kann jeder wissen, es ist sogar ganz einfach, aber die Leute sehen weg. Weil sie sie unbequem finden, weil sie ihrer Faulheit im Weg steht. Das ganze Gerede vom Teufel ist deshalb nur eine Ausrede. Aber wer sich ihr ergibt, der wird der Teufel sein, und am Ende dieses Weges steht nichts als nur auch das eigene Verlöschen – das endlose Flehen um Licht in vollkommener Dunkelheit. Was du einem anderen tust, das tust du immer auch dir selbst.”
Die Eule blickte den kleinen Bären ernst an. “Du musst also eines verstehen. Dein Freund ist ewig. Seine Seele kam von Gott und wird niemals vergehen. Er ist jetzt und hier bei dir, spürst du ihn nicht?”
Der kleine Bär dachte an die vielen Nachmittage auf dem Fußballplatz. Dass er wegen Peter in den Verein gegangen war. Wie Peter ihn einmal verteidigt hatte, als der Lehrer ihn zu Unrecht beschuldigt hatte. Die Jacke, die ihm Peter geliehen hatte, als ihm so kalt war. “Er lebt in mir weiter, meinst du das?” fragte er die Eule.
“Ja”, sagte die Eule. “Es sind jetzt stille Spuren. Vor Gott aber zählen sie wie die lauten.”
Am nächsten Tag nahm der kleine Bär die Torwarthandschuhe, die ihm Peter zum Geburtstag geschenkt hatte und fuhr damit zu Peters Eltern. “Ich wollte Ihnen etwas bringen”, sagte er. “Damit Sie sich erinnern können, wie lieb und gütig Peter gewesen ist. Und ich wollte Ihnen sagen, dass Peter für immer mein bester Freund sein wird.”